Diagnose

Die klinische Diagnose der Erkrankung im Frühstadium ist schwierig, insbesondere wenn die Bewegungsstörungen noch sehr gering ausgeprägt sind und deshalb die psychischen Veränderungen für sich allein auch auf andere Krankheiten hindeuten können. Wenn beispielsweise der untersuchende Hausarzt oder der Facharzt wenig Erfahrung mit der Huntington-Krankheit hat, kann es zu Fehldiagnosen wie Depression, Manie, Schizophrenie, Schwachsinn oder Alkoholismus führen. Daher steht eine Diagnose auf drei Säulen:

  • die Befragung des Patienten nach seinen Beschwerden und nach seiner familiären Krankheitsgeschichte,
  • die neurologische Untersuchung durch einen erfahrenen Arzt, am besten in einer Huntington-Ambulanz, und
  • die genetische Untersuchung mit Nachweis der Huntington-Krankheit.
     

Familiäre Krankheitsgeschichte

Da die Huntington-Krankheit erblich ist, steht – neben der Feststellung eigener Beschwerden – die familiäre Krankheitsgeschichte (Anamnese) an erster Stelle. In der Regel waren oder sind Großvater oder Großmutter erkrankt und Vater, Mutter oder andere Familienmitglieder leiden ebenfalls an der Krankheit. Nur in den seltensten Fällen handelt es sich um eine plötzlich auftretende Änderung des Gens (Spontanmutation). Man kann daher davon ausgehen, dass es in fast allen Fällen einen Elternteil gegeben haben muss, welcher das kranke Gen in sich trug. Die Familienanamnese kann jedoch schwierig sein, wenn beispielsweise ein Elternteil früh verstorben ist und die Krankheit bis dahin nicht ausgebrochen war, oder dass bei den Eltern keine, eine ungenaue oder eine falsche Diagnose gestellt bzw. dass ein positives Ergebnis verschwiegen wurde. Auch im Fall einer Adoption ist der familiäre Hintergrund in der Regel nicht zu ermitteln. Aus solchen Gründen kann der Anschein erweckt werden, dass die Krankheit nicht erblich, sondern neu aufgetreten ist.
 

Neurologische Untersuchung

Sind die neurologischen Symptome und die Familiengeschichte eindeutig, kann auf eine ausgedehnte Diagnostik verzichtet werden. Ist aber die Familienanamnese unklar oder sind die Beschwerden untypisch, kann eine sichere Diagnose durch eine sorgfältige neurologisch-psychiatrische Untersuchung und durch begleitende apparative Untersuchungen gestellt werden. Zu letzteren gehören insbesondere Computertomographie und Kernspintomographie, um Gewebeschwund bestimmter Gehirnareale nachzuweisen. Des Weiteren kann mittels Positronen-Emissions-Tomographie der Stoffwechsel von Geweben sichtbar gemacht werden, und schließlich können mit einem Elektro-Enzephalogramm Funktionsstörungen der Großhirnrinde dargestellt werden.

Eine einzige Untersuchung, welche die Diagnose sicherstellt, gibt es nicht. Durch die Kombination aus Anamnese, körperlicher und apparativer Untersuchung kann die Krankheit aber in einem sehr frühen Stadium diagnostiziert werden.
 

Genetische Untersuchung

Wenn bei einem Menschen Symptome vorhanden sind, welche auf die Huntington-Krankheit hindeuten, besteht die Möglichkeit, sich einer molekulargenetischen Diagnostik (Austestung) zu unterziehen. Diese Diagnosemethode ist seit 1993 durch die Entdeckung des Huntington-Gens möglich. Dazu wird eine Blut- oder Speichelprobe entnommen und mittels DNA-Untersuchung dieser Probe festgestellt, ob bei dem Patienten die Huntington-Krankheit tatsächlich vorliegt.
 

Vorhersagediagnostik

Auch gesunde Personen, die aufgrund einer Huntington-Krankheit bei Familienangehörigen das Risiko in sich tragen, ebenfalls Gen-Träger zu sein, können eine solche molekulargenetische Untersuchung durchführen lassen. Man spricht in diesem Fall von einer Vorhersagediagnostik. Die Vorhersagediagnostik ermöglicht lediglich die Feststellung, ob Jemand die Huntington-Anlage (das Gen) in sich trägt und irgendwann die Huntington-Krankheit bekommen kann oder nicht. Sie ist nicht die Diagnose über den Ausbruch der Krankheit. Weder das Wann noch das Wie der Krankheit wird durch sie vorausgesagt.

Die genetische Diagnostik kann auch bei einer bereits bestehenden Schwangerschaft als Pränataldiagnose durchgeführt werden, um festzustellen, ob das werdende Kind Gen-Träger ist oder nicht. Dies kann während der 9. bis 12. Schwangerschaftswoche geschehen. Wird das Huntington-Risiko festgestellt, ist es rechtlich zulässig, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Die Gründe, aus denen sich eine Risikoperson untersuchen lässt und den Blick in die eigene Zukunft wagt, sind vielfältig. Es beginnt beim Interesse am eigenen „Gen-Status“, es mag um die Partnerschaft gehen, um Familienplanung, um die eigene Lebensplanung, aber vor allem um Gewissheit in der Ungewissheit. Jedes Mal, wenn ein Glas aus der Hand fällt oder man einen Namen vergessen hat stellt man sich die Frage, ob dies ein frühes Anzeichen der Krankheit sein kann oder ein alltäglicher Vorgang ist, wie er allen einmal passiert. In jedem Fall liefert die Untersuchung eine Information, die aus dem Wissen nicht mehr zu löschen ist. Unabhängig davon, wie das Testergebnis ausfällt: es kann das Leben einer getesteten Person grundlegend verändern, selbst bei negativem Ergebnis.

Die Vorhersagediagnostik bei Menschen mit dem Huntington- Risiko hat eine erhebliche psychische und soziale Tragweite. Daher wurden von der Internationalen Vereinigung der Huntington-Selbsthilfeorganisationen und vom Weltverband der Neurologen Richtlinien erarbeitet, nach denen die Vorhersagediagnostik durchgeführt werden soll. Laut diesen Richtlinien soll weder bei Minderjährigen, noch auf Wunsch Dritter (z.B. Partner, Eltern, Ärzte, Versicherungsgesellschaften, Arbeitgeber, Adoptionsstellen) eine genetische Untersuchung vorgenommen werden. Die Untersuchung darf nur auf völlig freiwilliger Basis geschehen und Niemand ist berechtigt, auf eine Risikoperson Druck auszuüben, damit sich diese dem Test unterzieht.
 

Umgang mit dem Ergebnis

Die Reaktionen auf ein Testergebnis können vielfältig sein: Schock bei Kenntnisnahme eines positiven Ergebnisses, Verdrängen der Gefährdung, Angst davor, tatsächlich zu erkranken, Angst vor dem Zeitpunkt des Ausbruchs oder Angst vor dem Verlauf der Krankheit. Weiters geht es um Aggression darüber, das Leid der Familie mit allen Auswirkungen auf das Familienleben fortzuführen, Furcht vor Konsequenzen im Beruf und in der Partnerschaft oder Schuldgefühlen gegenüber betroffenen Familienangehörigen, selbst wenn man selber nicht betroffen ist. Und schließlich geht es um Suizidgedanken, vor allem um das Testdatum herum (später lässt die Suizidgefahr wieder nach, anscheinend weil sich die Gen-Träger allmählich an den Gedanken der Krankheit gewöhnen und sich darauf einstellen).

Man sollte sich also darüber im Klaren sein, warum man den Test machen möchte. Ist er nur für sich selbst, um statt einer möglicherweise quälenden Ungewissheit Gewissheit zu erhalten, ist er aus gleichen Gründen für den Partner, ist er wegen eines Kinderwunsches, der Berufsaussichten oder aus anderen Gründen. Was auch immer die Motivation sein mag: für diesen Test sollte man sich nur entscheiden, wenn man sich über die Folgen der Untersuchung klar geworden ist, nämlich das unauslöschliche Wissen um die eigene Zukunft. Für diese Entscheidung gibt es kein allgemeines Richtig oder Falsch. Diese Entscheidung muss Jeder für sich selbst treffen mit allen Konsequenzen, die daraus für den weiteren Lebensweg entstehen.

In jedem Fall ist es daher ratsam, sich bei einer Beratungsstelle und / oder mit einer Person seines Vertrauens eingehend darüber zu beraten. Bei einem solchen Gespräch geht es u.a. um die Familiengeschichte, die Krankheit selbst, ihre Erblichkeit, Auswirkungen und Behandlungsmöglichkeiten. Auch die Erwartungen des Ratsuchenden an die Untersuchung sowie sein möglicher Umgang mit dem zu erwartenden Ergebnis sollten thematisiert werden. Insgesamt ist das Ziel der Beratung, dass die Risikoperson sich über die Folgen der Austestung vollständig im Klaren ist. Das Untersuchungsergebnis wird ausschließlich dem Betreffenden eröffnet, ggf. einer begleitenden Vertrauensperson. Das Ergebnis oder diesbezügliche Auskünfte werden keinesfalls an Dritte weitergegeben. Der Befund wird Eigentum des Patienten und unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht.